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Channel: Anne Henning – kwerfeldein – Magazin für Fotografie
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Buschland

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Der französische Fotograf Antoine Bruy hat in seiner Serie „Scrublands“ die Lebenssituation von Aussteigern dokumentiert. Seit 2010 reiste er quer durch Europa, um Menschen zu treffen, die sich bewusst gegen das von Konsum und Effizienz geprägte Leben in der Zivilisation entschieden haben.

Die Radikalität dieser Entscheidung ist in seinen Fotos zu lesen, Einfachheit und die Besinnung auf das Wesentliche. Ein kleines selbstgebautes Häuschen, etwas zu essen, Familie und Haustiere, Einklang mit der Natur, ein entschleunigtes Leben. Das Gefühl, sich der Essenz des menschlichen Daseins zu nähern, schwingt in dieser Serie mit. Aber auch der etwas bittere Nachgeschmack von Einsamkeit und Isolation, die das Aussteigerleben mit sich bringen.

Antoine Bruy zeigt uns in seinen Bildern, worauf es eigentlich ankommt im Leben und auf was wir alles verzichten könnten. Dies sollte nicht nur auf einem politischen Level gesehen werden, viel wichtiger ist es ihm, das Leben im Buschland als eine täglich neue Erfahrung und auch Herausforderung zu verstehen.

Dieses dokumentarische Projekt ist ein Versuch, eine zeitgenössisches Geschichte zu erzählen, und unserer modernen Gesellschaft ein klein bisschen Magie zurückzugeben.

Gebirgslandschaft.

Haus aus Strohballen

Junge mit Hund

alternatives Wohnzimmer

Zwei Kinder in Waschkübeln

Aussteigermann

Selbstgebautes Haus

Hund sitzt in Wiese

Mann sitzt vor selbstkonstruierter Therme

Aussteigerfrau

Junger Aussteiger in Küche

Wohnwagen in Schneelandschaft

verschneiter Baum im Wald

Mensch von hinten mit Strohresten auf dem Pullover

„Scrublands“ dient als eine mögliche Antwort auf unsere derzeitig auf Profit und Ökonomie getrimmte Gesellschaft und diese Aussteiger haben es geschafft, sie hinter sich zu lassen. Weitere Bilder aus der Serie sind auf Antoine Bruys Webseite und auf Facebook zu sehen.


Zeichnung und Fotografie

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Ich zeichne gern. Hauptsächlich Konstruktionsskizzen für Skulpturen oder kleine Kritzeleien, aber die Zeichnung begleitet mich genauso wie die Fotografie durch meinen Alltag. Und manchmal kombiniere ich sie auch. Und damit bin ich nicht allein.

Das erste Mal, dass mir bewusst die Kombination von Zeichnung und Fotografie aufgefallen ist, war vor einigen Jahren beim Durchblättern eines Auguste-Rodin-Katalogs. Der französische Bildhauer hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, in der die Fotografie noch in den Kinderschuhe steckte und erst wenige Jahrzehnte erprobt wurde, seine Skulpturen abfotografieren lassen.

Diese Silbergelatineabzüge hat er stets behalten und sie zum Teil benutzt, um seine Arbeiten weiter zu skizzieren und Änderungen an den Skulpturen zu markieren.

„Er bearbeitete die Abzüge mit Gouache und Bleistiftmarkierungen und seine Kommentare führten oft zu kreativen Kreuzungen von Zeichnung und Fotografie“, ist es im Katalog FotoSkulptur (2011) zu lesen.

Zwei alte Skizzen von Rodin auf denen man das Foto einer Skulptur sowie feine Korrekturstriche Rodins sehen kann.

Es hat mich damals sehr beeindruckt, dass Rodin schon 1880 das Potential der Verbindung dieser beiden Medien erkannt hat und ich habe mich seitdem immer wieder bewusst oder unbewusst auf die Suche nach solchen Kombinationsmöglichkeiten gemacht, ob in meiner eigenen Arbeit oder beim Durchstöbern der Portfolios anderer Fotografen.

Herausgekommen ist dabei eine Vielzahl an Techniken und Möglichkeiten, die Zeichnung mit der Fotografie zu verbinden, um so ganz neue, gemeinsame Sinnpotenziale zu erhalten. Frei nach dem Motto „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ erzählen kombinierte Foto-Zeichnungen ganz eigene Geschichten, die das einzelne Bild oder die einzelne Skizze vielleicht nicht erzählen könnte.

Ich habe mich mit verschiedenen Fotografen und Fotografinnen darüber unterhalten, welche Bedeutung die Zeichnung in ihrem Werk einnimmt und habe speziell nach der Technik gefragt, durch die die beiden Arbeiten kombiniert wurden. Darum kann ich Euch heute eine kleine Übersicht über verschiedene Positionen geben, die mich besonders interessieren und die ich als gelungen und spannend empfinde.

Um dem Ganzen einen Rahmen zu geben, habe ich die Arbeiten nach ihrer Entstehungsweise und dem technischen Verfahren sortiert, von analog bis digital, mit all ihren Mischformen.

 

1. Kombinieren

Die Schweizer Fotografin Sarah Michel ist als „Böses Munggi“ mehr für ihre fotografischen Portraits als für Zeichnungen bekannt, dennoch gibt es in ihrem Portfolio ein großartiges Selbstportrait. Hierfür kombinierte sie ein Foto mit einer verwaschenen, düsteren Skizze von ihr. Die Kombination läd zum Vergeleichen ein und gibt einen Einblick in Sarahs Fähigkeiten, nicht nur mit der Kamera, sondern vor allem auch mit Stift und Papier.

Zwei Bilder, links das Foto einer Frau mit aufgezeichnetem verarzteten Mund und rechts eine Zeichnung eines Gesichts mit roten Flecken.

Ich zeichne hauptsächlich in meine Skizzenbücher. Zu manchen Zeichnungen gehören Fotos, die ich daneben oder dazu klebe. Das Polaroid einiger Origamivögel kam erst nachträglich dazu; bevor ich das Foto schoss, füllten gezeichnete Vögel die Buchseite. Manchmal wandern die Linien der Skizze auch auf das Foto, manchmal haben sie ihre Stärke durch reine Gegenüberstellung oder schriftliche Elemente.

Ein aufgeklapptes Buch, darin ein Foto mit Origamikranichen und gezeichneten Vögeln.

 

2. Auf Fotos zeichnen

Auch bei Sol Exposure wandern die Linien über ihre Fotos. Die Fotografin kombiniert Bild und Zeichnung ganz analog. Mit einem Fineliner malt sie kleine Tierskizzen auf Drucke ihrer Polaroids, wobei sie sich in der Wahl des Motivs vom Inhalt des Foto leiten lässt.

Zuerst suche ich das Bild aus und dann inspiriert das Foto mich ganz von allein, ob ich ein Tier oder ein Insekt darauf zeichne.

Wir sehen einen gezeichneten Gecko und einen Hirsch.

 

3. Aufmalen auf das Modell

Eine weitere rein analoge Kombinationsweise ist das direkte Zeichnen auf das Modell. Für mich ist es eine wunderschöne Arbeit, sich vorher Gedanken zu machen, welche Elemente ich meinem Motiv noch zusätzlich hinzufügen könnte, um dem späteren Foto eine Botschaft mit auf den Weg zu geben.

Das Malen auf der Haut bringt mich dem Ganzen sehr viel näher als ein nachträgliches digitales Rumbasteln, ich fühle lieber Haut, halte den Stift und habe eine intensive haptische Nähe zu dem Modell oder der Situation, die ich fotografieren möchte. Einer Freundin die Muttermale auf dem Rücken wie bei Malen-nach-Zahlen verbinden zu dürfen, hat uns in dem Moment sehr nah gebracht.

Eine Melodie im Kopf zu haben und mir dabei in aller Seelenruhe Klaviertasten auf die Wade zu malen, hat mir Ruhe und Zeit gegeben, das Foto genauer durchdenken zu können. So verbinde ich auch heute noch ein sehr intensives Gefühl mit dem Moment, in dem ich die Bilder geschossen habe.

Ein Rücken, auf dem die Punkte mit einer Linie verbunden wurden.

Zwei Bilder, auf denen man ein Menschen mit aufgemalter Klaviertastatur auf dem Bein sieht.

 

4. Papierskizze digitalisieren

Nur noch zum Teil analog arbeitet die Künstlerin Aliza Razell. „Ich liebe es die Möglichkeiten der Fotografie zu überschreiten“, hat sie mir erzählt und ich kann ihr darin nur zustimmen; es ist wunderbar fruchtbar, die Grenzen des einen Mediums zu verlassen und sich in neue Grenzgebiete vorzutasten. Aliza spricht von einem spannenden Spiel, wenn sie ihren Fotos „real-world elements“, wie sie ihre Zeichnungen nennt, durch Digitalisierung hinzufügt.

Man sieht die Zusammensetzung von Zeichnung und Fotografie. Ein Junge am Strand dreht uns den Rücken zu und hält die Hand eines Mädchens, das aber nur gezeichnet ist.

Eine Frau verbirgt sich hinter einer Zeichnung und wischt mit ihren Händen einen Teil davon weg.

Mit den hybriden Arbeiten aus analogen Zeichnungen und digitalen Bildern arbeitet auch Monique Zimmer unter dem Namen Bumbleandbee. Für sie sind es spannenderweise gerade die Fotos, die der realen Welt ensprungen sind:

Ein Foto zeigt einen realen, eingefrorenen Moment, der eine im Bild kombinierte Zeichnung oder Malerei zum Leben erwecken kann.

In jedem Fall lassen sich durch solche Hybride zwei Welten miteinander kombinieren, die sich sonst vielleicht nicht treffen würden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der Enstehungsprozess oftmals in die Länge zieht und viele Stunden oder Tage nach der richtigen Kombination gesucht wird.

Erst, wenn mich das Zusammenspiel von Zeichnung und Bild in irgendeiner Weise berührt, wenn in mir ein zärtliches, komisches, staunendes oder bedrückendes Gefühl keimt, belasse ich das Zusammenspiel so wie es ist.

Gezeichneter Hirschkopf neben einem Frauengesicht

Für Yuliana Mendoza, unter dem Künstlernamen Silence Effects, ist das Kombinieren eine Möglichkeit, eine Balance zwischen zwei Leidenschaften zu schaffen, die sie liebt: Zeichnen und Fotografieren. Sie hat es mir wunderschön poetisch mit „volare con i piedi per terra“ (mit den Füßen auf dem Boden stehend fliegen) versucht, zu erklären.

Ein zweigeteiltes Bild einer nackten Frau, die eine Hälfte ist ein Foto, die andere gezeichnet.

Ich bewundere die drei Fotografinnen dafür, dass sie es schaffen, Zeichnungen anzufertigen, die sich dann in einem zweiten Schritt perfekt in das Foto einfügen. Um möglichst wenig Änderungen digital an den Skizzen durchführen zu müssen, sollte das Bild auf dem Papier schon in Größe und Form auf das Foto abgestimmt sein.

Ebenfalls gut mitdenken muss Ben Heine. Er fotografiert seine Modelle mit Papierskizzen in der Hand, die er vorher weitestgehend an Ort und Stelle angefertigt hat. Ben bemüht sich, so präzise wie möglich die Linien von Skizze und realer Szene ineinander übergehen zu lassen, sodass er später am Rechner nur noch die Linien überarbeiten oder verstärken muss.

Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, Zeichnung und Fotografie auf einem fantasievollen, harmonischen und dennoch ins Auge springenden Weg zu kombinieren. Ich habe diese Technik extra dafür erfunden, sie erlaubt mir, mich mit starken Botschaften auszudrücken und zwar mit den Werkzeugen, die ich am meisten benutze.

Der Fotograf hat sich in zahlreichen Ausstellungen einen Namen gemacht und vielen sind seine meist humorvollen Szenen ein Begriff.

Eine Ziege sehen wir und eine Hand, die vor den Ziegenkopf ein Stück Papier hält, auf dem der Ziegenkopf gezeichnet ist.

Auch für Ryan Grees geht es um die Erweiterung des Realen durch das Fantastische.

Für mich ist und bleibt die Fotografie ein Abbild des „realen“ Momentes und meine Illustration dazu, das, was ich für mich selbst ausdrücken bzw. kommunizieren möchte – das macht es für mich zu einem persönlichen und einzigartigen Bild.

Seine Papierzeichnungen, weiterentwickelt in Photoshop, sind surreal und eindringlich, manchmal bedrohlich oder verwirrend. Ich verfolge seine Arbeiten seit einigen Jahren und es lohnt sich, immer mal wieder auf Ryans Webseite zu schauen.

© Ryan Grees

Eine rotrosa Zeichnung eines Portraits.

 

5. Analoges Foto, digitale Zeichnung

Die Fotos von Dilsad Aladag entstehen analog und ihre Geschichte über Zeichnung und Fotografie begann durch einen Zufall: Sie fotografiert mit einer Minolta XG-1 und hat sich oft darüber geärgert, dass das letzte Foto ihres Film halb weggebrannt war. Einmal hat sie eine Freundin portraitieren wollen, doch unglücklicherweise war die Hälfte ihres Gesichts nicht mehr auf dem Film.

Dilsad entschloss sich kurzerhand dazu, den fehlenden Teil comicmäßig und bewusst undetailliert hinzu zu skizzieren. Damals benutze sie noch Paint als Hilfe, inzwischen hat sich daraus eine ganze Serie entwickelt, sodass Dilsad immer wieder mal auf das letzte halbierte Foto eines Films zurückgreift und es in Photoshop vervollständigt. Ihre wunderbaren Hybriden aus gescanntem Foto und digitaler Zeichnung sind im Album „Little Drawings“ in ihrem Flickr-Portfolio zu bestaunen.

© Dilsag Aladag

 

6. Komplett digital

Vollständig digital arbeiten viele Fotografinnen und Fotografen, von denen ich Euch zu guter Letzt noch die kolumbianische Künstlerin Andrea Carvajal vorstellen möchte. Sie ist Grafik-Designerin und erstellt all ihre Zeichnungen auf dem Wacom Bamboo Fun.

Für sie ist jede Zeichnung wie eine Erinnerung an ihre verlorene Kindheit, lauter kleine Hinweise, die sie auf ihrem einsamen Weg verstreut.

Meine Zeichnungen sind Brotkrumen, wie die, die Hänsel gestreut hat, für diejenigen, die sie und mich sehen.

Man kann sich durch Andreas märchenhaft-melancholische Welt klicken, versuchen, ihre Zeichnungen zu verstehen und gerade in der Kombination mit Fotografien sind sie noch viel verschlüsselter.

Eine zweigeteilte Frau, die Augen sieht man nicht.

Ich hoffe, ich konnte Euch eine kleine Übersicht über die vielen Möglichkeiten aufzeigen, denn das Feld der Kombination aus Zeichnung und Fotografie ist weit und sowohl analog als auch digital zu bestreiten.

Ich freue mich immer wieder, wenn ich solche Mischformen in Portfolios entdecke und es gibt sicherlich noch eine Vielzahl toller Künstlerinnen und Künstler, die ich hier nicht vorgestellt habe. Auf jeden Fall kann ich jedem, der sich in beiden Medien zuhause fühlt, nur raten, das Skizzenbuch und die Kamera einander mal vorzustellen.

Ein Bild, hundert Möglichkeiten

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Dies soll ein kleines Plädoyer dafür sein, sich über einen längeren Zeitraum mit ein und demselben Foto zu beschäftigen. Zu experimentieren, zu kombinieren, zu schauen, was alles aus einem Foto rauszuholen ist.

Denkt man an „ein Bild, hundert Möglichkeiten“ kommt einem vielleicht erst einmal Photoshop in den Sinn. Digitale Bildbearbeitung kann aus einem Ursprungsfoto so viele neue Versionen schaffen, man braucht nur genügend Ideen und ein bisschen Handwerk. Doch ich glaube, das funktioniert auch analog.

Photoshop habe ich nicht. Ich habe einen Scanner, ein einfaches Umsonstbearbeitungsprogramm, das meine gescannten Vorlagen beschneiden und ein bisschen an den Kontrasten drehen kann, und eine Dunkelkammer. Das reicht mir, um aus einem Foto das Beste rauszuholen und verschiedene Versionen durchspielen zu können.

Auch der Drogeriemarkt an der Ecke tut mit seinem Fotoservice ungewollt sein Möglichstes. Denn – analog Fotografierende werden es kennen – egal wie oft man sein Negativ dort abgibt, man bekommt stets eine andere Version des Abzugs zurück: Mal sind die Ränder beschnitten, mal sind es gesättigtere Farben, mal andere Kontraste. Und manchmal ist das Foto sogar spiegelverkehrt abgezogen worden. Unwissend leistet CEWE schon den ersten Schritt für meine hundert Möglichkeiten. Trotzdem ist das Selberscannen das Erste, was ich zuhause mache, denn den Abzügen traue ich nie so wirklich.

Eines meiner absoluten Lieblingsbilder ist vor sechs Jahren in einer Lagerhalle entstanden. Ich habe mit einer befreundeten Fotografin eine Tour gemacht, meine Kiev hat schnell aufgegeben, ihre Canon hat den Tag über alleine durchgehalten, später haben wir die Negative geteilt. Eines dieser Bilder zeigt mich schräg und von hinten im Licht stehen. Und obwohl es unspektakulär ist: Ich mag dieses Bild sehr.

In den letzten Jahren habe ich es immer wieder für verschiedene Ideen verwendet, habe es in der Dunkelkammer benutzt, um Chemie oder Einstellungen zu testen und im Laufe der sechs Jahre sind, ohne es geplant zu haben, viele Versionen des selben Ursprungsnegativs entstanden.

Und auch, wenn es keine hundert geworden sind, ist es für mich dennoch ein schönes Beispiel, wie sich dieses Foto als roter Faden durch meine fotografische Entwicklung zieht. Ich zeige Euch meine liebsten Versionen dieses Fotos, ohne Wertung oder Reihenfolge, welches nun die beste ist, denn eine „richtige Version“ hat dieses Foto für mich nicht.

Zuerst zeige ich Euch die einfache gescannte Version. Kleinbild, Farbfilm. Welcher, weiß ich nicht mehr, aber ISO 200 steht auf den Streifen. Da ich im Fotolabor bisher nur schwarzweiß abziehe, ist es auch die einzige Version in Farbe. Alles, was ich fortan mit den Abzügen angestellt habe, ist schwarzweiß.

Die Rückenansicht eines Mädchens mit wirren Haaren.

Eine meiner liebsten Möglichkeiten in der Dunkelkammer ist das Abwedeln. Ich habe mir einen kleinen Fächer gebastelt, mit dem ich ab und an Ecken von Bildern verwische und schöne weiß zerfließende Übergänge schaffe. Auch dieses Selbstportrait braucht für mich zerfließende Ränder. Ich lese viel und lasse mich dabei auch in meiner künstlerischen Denkweise oft von Litartur leiten, inspirieren und beeinflussen.

Literatur ist neben der Kunst meine zweite Quelle der Inspiration, der Ruhe, der Gedanken und ziemlich oft kreuzen sich diese Wege und treten in Symbiose. Ich habe mal ein wundervolles Zitat in Günter Grass’ „Der Butt“ gelesen, was mich seither beschäftigt und mich direkt an diesen Handabzug erinnert hat:

Jetzt zerfaser ich von den Rändern her.

Diese Botschaft, am äußersten Punkt angreifbar zu sein, sich dort aufzulösen, dieses Gefühl habe ich, wenn ich das Foto ansehe. Auch, wenn es für Außenstehende natürlich schwer nachvollziehbar ist, aber sechs Jahre sind eine lange Zeit, seitdem ist viel passiert und all das projiziere ich in dieses Bild mit seinen zerfasernden Rändern.

Die Rückenansicht eines Mädchens in schwarzweiß.

Das gleiche Gefühl hatte ich, als ich vor zwei Jahren meine Examensarbeit schreiben sollte. Verwirrt, unklar, wo es hinführen soll, ein großes Thema auf kleinen Schultern. Am Ende ist alles nochmal gut gegangen, ich habe das Thema zu fassen gekriegt und mich intensiv mit Schrift und Bild auseinander setzen können.

Aber ein Foto aus dieser im Zuge des Schreibens entstandenen Reihe spiegelt passend mein Gefühl wider: Das Selbstportrait in der Fabrik. Ich habe damals angefangen, mit Folien in der Dunkelkammer zu experimentieren, um auf ganz analoge Art und Weise Schriftzüge in das Foto zu bringen. Es ist ein Zitat von Finn-Ole Heinrich aus seinem „Räuberhände“-Roman geworden, mit der prägnanten Zeile „Nur ich irre umher“.

Abgetippt mit der Schreibmaschine auf weißes Papier, kopiert auf Folien, aufgelegt in der Dunkelkammer auf das Fotopapier, steht es nun im Bild. Auch, wenn die Lesbarkeit ein bisschen gelitten hat, ist es in die Mappe zur Abschlussarbeit gewandert und gefällt mir auch zwei Jahre später noch.

Beschriftete Folien mit einem Zitat.

Die Rückenansicht eines Mädchens mit einem Zitat.

Dann kam eine Zeit, in der ich mich intensiver mit der Möglichkeit des Kombinierens auseinandergesetzt habe. Kombinierte Bilder als Sammlung von Geschichten.

Das Selbstportrait in der Fabrik hat in der Dunkelkammer und Zuhause auf dem Schreibtisch viele andere Fotos kennenlernen dürfen. Am Ende habe ich mich für die Kombination mit einem Knallerbsenstrauch entschieden. Das Foto hat an der linken unteren Ecke eine helle Überbelichtung, der Deckel der Kamera war etwas lichtdurchlässig.

Zusammengeschoben ergeben die beiden Fotos eine ganz neue Geschichte, jedes für seinen Teil, aber in der Mitte ist der helle Fluchtpunkt, in dem alles zerfließt. Auch das Format habe ich geändert. Da die Knallerbsen im Mittelformat fotografiert sind, habe ich das Kleinbild beschnitten und angepasst. So ist ein bisschen mehr weiße Wand und ein bisschen weniger Ich im Mittelpunkt.

Ein Knallerbsenstrauch mit Knallerbsen und Ästen.

Eine Kombination aus der Rückenansicht eines Mädchens und dem Knallerbsenstrauch.

Neben all diesen Versionen existieren noch viele weitere, die in meinem Fotokoffer liegen. Nur ein Abzug des Selbstportraits in der Fabrik hat es neben meinem Schreibtisch an die Wand geschafft und das nicht, weil er der schönste ist, ganz im Gegenteil: Eigentlich ausrangiert ist in der Dunkelkammer ein unfixierter Testreifen auf ihm gelandet und hat seine Säure überall verteilt.

Eine Rückenansicht eines Mädchens auf einem Handabzug der fleckig ist.

Aber gerade das macht ihn für mich zur persönlichsten Version, weil es zeigt, wie kleine Fehler, Unaufmerksamkeiten und Zufälle Einfluss auf die Arbeit nehmen, wenn man nicht damit rechnet. Und mit den kaffeeähnlichen Flecken mag ich ihn fast noch lieber als ohne.

Körper, Licht und Raum

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Celeste Ortiz ist eine chilenische Fotografin, die sich intensivst mit ihrem Körper im Raum auseinandersetzt. Selten arbeitet Celeste mit Modellen, für sie ist es nahliegender und natürlicher, sich selber zu fotografieren und dafür benutzt sie am liebsten die Orte in ihrer direkten Umgebung. Ihr Zimmer, ihre Wände, ihre Fenster, ihren Garten, ihren Körper.

Sie zeigt uns durch ihre Körpersprache, wie sie sich sieht und hält für uns fest, was sie sieht, ohne Angst vor einem Betrachter. Licht im Nacken, wie eine Hand sich bewegt, fallende Haare, ein blattloser Zweig, eine romantische Detailliebe, Intimität und unheimlich viel Weiblichkeit ziehen sich durch ihre Arbeiten. Ich mag die Sanftheit und Einfachheit ihrer Bilder, dass nicht viel auf ihnen passiert, außer dass einfach der Moment eingefroren wird.

Das Foto ist nicht wirklich geplant, mehr eine vage Idee … Ich denke über das Licht nach, über den Raum um mich herum, wo ich die Kamera hinstelle. Ich stelle sie auf das Stativ, kontrolliere das Licht, fokussiere. Darüber denke ich nach. Ich liebe den Prozess.

Seit 2008 fotografiert Celeste, damals noch ausschließlich digital. Erst, nachdem sie 2012 ein Diplom in Digitaler Fotografie am ARCOS Institut Santiago de Chile gemacht hat, hat sie sich der analogen Fotografie zugewendet und den Film für sich entdeckt, weil sie so entschleunigter und langsamer arbeiten kann.

Sie fotografiert mit verschiedenen Modellen, ihr Lieblingswerkzeug ist aber die Zenit E. Und auch, wenn ihre Fotos nicht perfekt sind, ist Celeste nun zufriedener. Sie ist nicht mehr auf der Suche nach Perfektion und gibt offen zu, dass sie viele Fehler in ihren Bildern hat, die für sie aber zum Prozess gehören und die sie nun zulassen kann.

Das ist dabei herausgekommen. Ich habe viele verschiedene Stile ausprobiert, als ich noch digital gearbeitet habe, aber jetzt ist meine Fotografie ehrlicher geworden und ich bin dabei geblieben.

Doppelbelichtung mit Frau und Blumen

Frau in blauem Kleid mit nackten Beinen

Blütenblättchen auf nackten Beinen

Dreifachbelichtung von Frauenbeinen

Dreifachbelichtung von Händen

Eine Frau steht an einer Wand mit einem Ast vorm Gesicht

Ein kahler Ast wird an eine Wand gehalten

Eine Frau hat einen Efeukranz umgewickelt

Frauenbeine und Lavendelhalme

Gekreuzte Hände vor unscharfer Landschaft

Frau kniet am Fenster mit Kamera in der Hand

Frau liegt auf Holzboden

Frau lehnt an Blümchentapete

Halbnackte Frau umfasst ihren Körper

Frau mit nackter Brust verschränkt ihre Arme

Frau lehnt nackt an einer Wand mit wenig Lichteinfall

Frauen spiegelt sich oben ohne in einem Spiegel

In Chile hat sie verschiedene Ausschreibungen gewonnen und auch schon einige Gruppen- und Einzelausstellungen vorzuweisen. Ihre Arbeiten sind auf Facebook und Flickr zu finden und ein kleines Video über eine ihrer Ausstellungen gibt es hier.

Schlafende Kinder

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Die französische Fotografin Alice Lemarin zeigt in ihrer Serie „Sleeping“ schlafende Kinder in städtischer Umgebung. Tief schlafende Kinder auf federweichen Kissen, angelehnt an Häuserwände, Pfähle oder Mauern. Sanfte Träume inmitten der Großstadt.

Das Thema der unbeschwerten Kindheit setzt Alice Lemarin fotografisch auf eine ganz besondere Art und Weise um: Sie lässt ihre kleinen Modelle überall einschlafen, wo sie die Müdigkeit überkommt. Das Privileg einfach einschlafen zu können, wenn man müde ist, egal wann und wo, verschwindet allmählich je älter wir werden.

Termine auf der Arbeit und Verpflichtungen nach Feierabend, volle Kalender und Freizeitstress kennen wir nur zu gut. Nicht selten schaut man doch manchmal seufzend und leicht neidisch auf die Kinder, die auf einem langweiligen 70. Geburtstag einfach auf Papas Arm einschlafen.

Egal wie unbequem der Untergrund; Kindern scheint es häufig einfach nichts auszumachen. Wenn sie müde sind, schlafen sie tief und fest ein. Übertragen in eine urbane Umgebung, feiert Alice Lemarin mit diesen Bildern fast schon surreal die Leichtigkeit der Kindheit.

Dabei zieht sich nicht nur der formale Aufbau der horizontalen Stadtkulisse und der vertikalen Schlafmöglichkeit wie ein roter Faden durch die Serie. Alice Lemarin hat noch auf viele weitere Details wert gelegt:

Die subtilen Akzente im Styling machen eine visuelle Besonderheit aus. Die Kleidung der Kinder und der Bezug der Kopfkissen ist auf die Umgebung abgestimmt, sodass es scheint, der städtische Raum sei mit den Träumen der Kinder verschlungen.

Auf jeden Fall laden ihre Fotos zum Träumen ein, und lassen uns glücklich daran zurück denken, wie schön es damals war, als wir klein waren und unbeschwert schlafen konnten.

Ein schlafendes Mädchen lehnt an einem Auto vor einem Brautmodengeschäft

Ein rothaariger schlafender Junge lehnt an einer bemalten Wand

Ein schlafendes Mädchen in rosa lehnt an einer Wand

Ein schlafender Junge lehnt an einem Baum

 Ein schlafendes Mädchen lehnt an einer Fotowand

Ein schlafender Junge lehnt vor einer Großstadtkulisse

Ein schlafender Junge lehnt vor einem Hotelfenster

Ein schlafendes Mädchen lehnt an einem Bahnsteig

Ein schlafendes Mädchen lehnt an einem Baum, über ihr ist ein Vogelkasten.

Ein auf einem rosa Kissen schlafendes Mädchen lehnt an einer Wand.

Ein schlafender Junge lehnt an einer Mauer.

Diese und weitere Arbeiten von Alice Lemarin findet Ihr auf ihrer Webseite.

Von Menschen und Tieren

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Schaue ich in das Portfolio des armenischen Fotografen Arthur Sakhkalyan, sehe ich vor allem Portraits. Portraits von Menschen und von Tieren.

Seine Bilder bestechen durch eine charmante Unperfektheit. Hier stimmt rein technisch gesehen nicht alles: Belichtungsfehler, abgeschnittene Gesichter, Portraits von hinten – unten – oben, ein verwirrender Fokus oder eine verrutschte Doppelbelichtung.

Doch wenn man sich auf Arthur Sakhkalyans Fotografien einlässt, stimmt wieder alles, denn seine Portraits transportieren vor allem eines: Nähe. Das Suchen vermeintlicher Fehler in seinen Aufnahmen sind für ihn nur Anzeichen, dass wir eine fehlerhafte Denkweise in der Fotografie haben.

Ich fotografiere so, wie ich mich in dem Moment fühle. Ich bewerte nichts, noch versuche ich irgendwas Spezielles zu zeigen, es geht nur um die Präsenz des Moments. Und ja, es gibt diese Momente, da bevorzuge ich ein halbes statt ein ganzes Gesicht.

Warme, intensive Aufnahmen von Menschen, die nicht nach Katalog oder Werbung aussehen, sondern nach besonderen Persönlichkeiten. Die sitzen und rauchen, lachen, sich die Augen reiben und einfach lebendig sind.

Tiere, die nicht in einem Studio ins rechte Licht gerückt werden oder wild und exotisch sind, sondern einfach auf der Weide stehen, Fliegen in den Augen haben und sich auch mal wegdrehen. Egal ob Mensch oder Tier, Arthur zeigt ihre Natur.

Eine Frau im Portrait mit abgeschnittener Stirn

ein weißes Pferd schaut zur Seite

Doppelbelichtung eines Mannes mit Zopf

Kuh mit Fliegen an den Augen und Belichtungsfehler

Frauenhals mit abgeschnittenem oberen Gesichtsteil

Ein weißes Pferd ganz nah

Ein Mann mit roten Wangen

Ein Mann fasst sich mit der Hand über die Augen

Eine helle Kuh seitlich

Ein Mann raucht eine Zigarette

Eine junge Kuh von der Seite

Ein Pärchen-Portrait

Ein Mädchen mit Dreadlocks seitlich fotografiert

Ein weißes zotteliges Pferd sehr nah.

Eine Frau mit nacktem Oberkörper von hinten

Arthur Sakhkalyan fotografiert seit über elf Jahren. Er benutzt hauptsächlich Polaroid-Land-Kameras oder seine Mamiya RZ 67. Weitere Portaits und Landschaftsbilder sind in seinem Flickr-Portfolio zu finden.

Die Traurigkeit der Bäume

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Der in Moskau lebende Anton Park beschäftigt sich in seinen schwarzweißen Doppelbelichtungen mit der Kombination aus Gesichtern und Naturelementen. Mit diesem Thema haben sich vielleicht schon viele vor ihm beschäftigt, aber dass diese unglaublich auf den Punkt gebrachten Kombinationsbilder analog enstanden sind, macht sie einmal mehr zu etwas Besonderem.

Vor sechs Jahren hat er mit dem Fotografieren begonnen, vor fünf Jahren hat Anton sich in das analoge Mittelformat verliebt, hat sich eine Hasselblad 500C/M zugelegt, aus lauter Zuneigung sogar seinen Hund Hasselblad genannt, und ist ihr seither treu geblieben. Klassische Portraitgrößen wie Richard Avedon und Irving Penn sind seine Vorbilder, und obwohl er sich am Anfang unsicher war, wo es hingehen sollte, ist er beim Portrait geblieben.

Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Menschen sollten sich stetig weiterentwickeln, denke ich. Ich kann nicht sagen, dass ich in ein paar Jahren noch genau dasselbe mache, aber jetzt, genau hier, erfüllt es mich.

Die Doppelbelichtungen, teileise sogar Dreifachbelichtungen von Menschen und Bäumen sind größtenteils auf Antons Lieblingsfilmen entstanden, dem Kodak T-Max 100 und dem Tri-X 400. Diese starken Schwarzweißfilme benutzt er aufgrund ihrer tollen Kontraste so gern. Dass alle Doppelbelichtungen zwar geplant, aber in ihrem Ergebnis dann doch unvorhersehbar sind, macht die Bilder noch spannender.

Ein angeschnittenes Gesicht, ein Kopf aus dem Äste sprießen, eine mystische Symbiose aus Gesicht und Natur. Menschen im Einklang mit der Natur? Es könnte so harmonisch sein, doch die Menschen wirken düster. Niemand lächelt. Alle blicken ein bisschen traurig zwischen ihren Bäumen, Blättern oder Wolken hervor.

Ich kann gar nicht viel zu meinen Fotos sagen, wenn ich ehrlich bin. Ich würde sie einfach als Portraits mit einer Portion Melancholie bezeichnen.

Doppelbelichtung einer Frau und einer Spiegelung eines Baumes

Doppelbelichtung einer Frau und Gestrüpp

Doppelbelichtung eines Frauenportraits und einer Silhouette

Doppelbelichtung eines Mannes mit einem großen Ast

Doppelbelichtung einer Frau und einem kahlen Baum

Doppelbelichtung eines Mannes und einer Landschaft

Doppelbelichtung einer Frau und einem Baum

Doppelbelichtung eines Frau mit einem Fenster

Doppelbelichtung eines Menschen mit Händen vor dem Gesicht und Lichtreflektionen

Doppelbelichtung einer Frau und Wolken

Doppelbelichtung einer Frau mit einem Baum

Doppelbelichtung eines Mädchens und einem See

Auf Anton Parks Webseite oder in seinem Flickr Portfolio sind noch viele weitere starke Schwarzweißfotografien zu sehen – auch ganz klassische Portraits ohne Doppelbelichtung.

Albträume

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Albträume. Wer hatte sie als Kind nicht? Gruselige spinnenbeinige Tiere unterm Bett, Gespenster, die an den Rollläden kratzen, böse Clowns im Wald, die Kinder in den Hochstand locken. Wir alle kennen das so oder anders noch aus unseren Kindheitstagen, doch die meisten dieser Träume, die uns damals so sehr beschäftigt und verängstigt haben, sind heute längst vergessen.

Der häufigste Grund, warum wir heute nachts aufschrecken, ist die Panik, einen wichtigen Termin zu verpassen oder die Sorge um nahstehende Menschen. Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen Albtraum, der sich so tief eingebrannt hat, dass wir uns auch noch nach Jahren an ihn erinnern können.

Ich habe heute äußerst selten solche skurrilen und detaillierten Albträume, wie ich sie als Kind hatte. Vielleicht hat sich meine Fantasie verändert, vielleicht habe ich die Angst vor Übersinnlichem verloren, denn so träumen wie damals, das kann ich heute gar nicht mehr.

Obwohl Menschen in jedem Alter ihres Lebens träumen, sind sie im frühen Kindesalter besonders sensibel und empfänglich dafür. Die Abgrenzung zwischen Realität und Fantasie ist bei jüngeren Kindern viel weniger ausgeprägt als im Alter und dies führt zu verwirrenden und ängstlichen Träumen, da das Kind für vieles, was es tagsüber beobachtet, noch keine rationale Erklärung hat und sich somit seiner Fantasie behelfen muss.

Angst, Traurigkeit, Ärger, Verwirrung, Ekel, Enttäuschung und Scham sind die Gefühle, die wir am häufigsten in unseren Albträumen empfinden. Und genau diese Palette menschlicher Emotionen bietet auf der künstlerischen Ebene viel Platz für Interpretationen.

Ein Junge hat Wurzeln anstelle von Händen.

Ein Wesen in scharzem Umhang hält ein Kind fest.

Der 1940 geborene New Yorker Künstler Arthur Tress hat sich schon vor 50 Jahren viele Gedanken um die fantasievolle Traumwelt der Kinder gemacht, vor allem Albträume haben ihn fasziniert. Im Alter von zwölf Jahren bekam er von seinem Vater seine erste Kodak geschenkt, das Filmentwickeln brachte er sich durch Zeitschriften und geliehene Büchern aus der Bibliothek selbst bei.

Schon früh interssierte er sich für das klassische Schwarzweiß-Kino und begeistert von den Surrealisten rund um René Magritte entwickelte er seinen Hang zu melancholischen und fantastischen Bilderwelten. Zufälligerweise hatte er Ende der 60er Jahre die Möglichkeit, in einem alljährlichen Kreativ-Workshop mit Kindern in Manhatten mitzuarbeiten und das damalige Thema war „Träume“.

Dies brachte Arthur auf die Idee, sich mit den Kindern über ihre Albträume zu unterhalten, zumal er seine eigenen Träume als banal und alltäglich beschreibt. Später befragte er auch Freunde, an welche prägnanten Träume aus ihrer Kindheit sie sich noch erinnern können.

Ein riesiger schwarzer Rabe sitzt über einem Jungen.

Ein Mann verbrennt seiner Frau die Hand mit einem Bügeleisen.

Arthur begann, diese Albträume mit den jeweiligen Kindern nachzustellen. Oftmals ist es schon der gewählte Ort allein, der dem Bild seine düstere Stimmung verleiht, sodass die Schwierigkeit der Darstellung eines Traumes überwunden werden konnte. Ein alter Autofriedhof, verlassene Häuser – er fand viele Möglichkeiten, zu improvisieren und die Fantasien der Kinder zu inszenieren, was allerdings für die Fotografie der 60er und frühen 70er Jahre sehr untypisch war.

Damals wurde in New York hauptsächlich Straßenfotografie gemacht, „staged photography“ – also gestellte Bilder wie auf einer Theaterbühne – war gegen den Strom. Er schaffte es, diese fantastischen Traumsequenzen in einem sehr realistischen, fast schon dokumentarischen Stil zu visualisieren. Und Arthur sollte mit seinen gruseligen und düsteren Bildern Erfolg haben, denn:

Ich sehe auch nicht länger den Unterschied zwischen gestellter Fotografie, inszenierter Fotografie, Konzeptfotografie oder dokumentarischer Fotografie. Sie sind doch alle nur Projektionen der Fantasie des Fotografen. Dieser Stil wurde mein Markenzeichen für die nächsten 20 Jahre, diese Art von surrealer und verstörender Fotografie.

Ein Junge ist in Sand eingegraben.

Ein Kind schaut aus dem Dach eines schwimmenden Hauses heraus.

Ein Kind hat Hörner anstelle von Ohren.

1972 stellte Arthur Tress erstmals seine Albtraum-Serie aus, ein Jahr später erschien das Fotobuch „Dream Collector“*. Durch die Veröffentlichung schaffte er es, Vorurteile über inszenierte Fotografie abzubauen, verhalf dieser schließlich zum Durchbruch und wurde damit wegweisend für viele Fotografen und Fotografinnen nach ihm.

Die Kinder, die der heute 73-Jährige in den 60er Jahren auf den Straßen New Yorks nach ihren Albträumen befragt hat, sind in einem ganz anderen Umfeld als unsere heutigen Kinder aufgewachsen. Und dennoch würde ich behaupten, zum Leben erweckte Märchenfiguren oder riesige Raben können auch heute noch in nächtlichen Fantasien in Kinderköpfen auftauchen.

Beim Erschaffen dieser Szenarien kommt es oft zu einer Kombination aus dem eigentlichen Traum, mystischen Archetypen, Märchen, Horrorfilmen, Comics und einem Spiel der Fantasie. Diese Erfindungen reflektiert oft das Innere des Kindes, seine Hoffnungen und Ängste sowie die symbolische Verwandlung in seine Lebenswelt, wie Zuhause oder Schule, in ganz neuen Formen. Und ich wollte wissen, wie diese Visionen darstellbar sein könnten.

ein Mädchen trägt einen riesigen Kegel als Hut.

Ein riesiger Ball überrollt einen Jungen.

Eine Braut und ein Bräutigam in einer Person.

Nichtsdestotrotz wäre es spannend, heute Kinder nach ihren Albträumen zu befragen und diese fotografisch umzusetzen, vor allem wenn es stimmt, dass wir in unseren Träumen unsere Realitätswahrnehmung verarbeiten. Kindliche Traumbilder als kleine Sozialstudie: Inwieweit sich die Gute-Nacht-Geschichten, Kinderfilme und Medieneinflüsse heutzutage auf die Träume und Albträume von Kindern auswirken, das wäre sehr interessant.

Haben Kinder in den 60ern, in denen Hitchcocks „Die Vögel“ in die Kinos kam, anders geträumt als die junge Generation, die in den 70ern „Der Exorzist“ gesehen hat und wieder anders als Kinder zu Zeiten von Kings „Es“ in den 90ern?

Arthur Tress’ Fotos wären somit Zeitzeugen der Ängste, die Kinder vor rund 50 Jahren die Nacht über gequält haben. Aber wie sähe dieses Kopfkino heute aus? Genau das habe ich ihn abschließend auch gefragt und auch er glaubt, dass Kinder von damals im Traum mit den selben Archetypen wie heute zu kämpfen haben. Dennoch vermutet er:

Obwohl, mit all dem Input der visuellen Welt mit ihren Spezial-Kinoeffekten und Videospielen träumen Kinder heute vielleicht sogar in 3D, Surround Sound und HD. Ich hatte als Kind beispielsweise auch nur Schneewittchen und nicht Guardians of the Galaxy.

Ein riesiger Gartenzwerg läuft eine Treppe hoch.

Ein Karussellpferdchen überfällt ein Kind.

Eine Hexe in der Form eines alten Sessels.

Würde man seine Serie fortsetzen, kämen heute sicher mit Hilfe von Digitaltechnik und Nachbearbeitung in Photoshop rein technisch gesehen ganz andere Ergebnisse heraus, als Arthur Tress vor knapp 50 Jahren mit rein analoger Ausrüstung und seiner zweiäugigen Rolleiflex darstellen konnte.

Der Mittelformatfotografie ist er viele Jahre lang treu geblieben, auch wenn er sie 1974 sogar vor Henri Cartier-Bresson verteidigen musste, der bekanntermaßen eher dem Kleinbildfilm verfallen war. Und auch, wenn sie sich nicht auf das Format einigen konnten, teilten sie doch die Liebe zum Surrealismus und achteten die Arbeit des anderen. Heute fotografiert Arthur Tress mit einer Hasselblad, aber Photoshop besitzt er immer noch nicht.

Vielleicht ist die wahre Revolution in der hohen Qualität zeitgenössischer Fotografie heutzutage nicht der Computer oder die Digitalkamera, sondern die Ausbreitung exzellenter Bearbeitungsprogramme, Workshops und Fotomessen, die es in meinem Alltag gar nicht gab. Vielleicht aber habe ich als Autodidakt einen besonderen Sinn für Eigeninitiative und die Neugierde für lebenslanges Lernen hat mir geholfen, Kommerzialisierung oder Langeweile in meinen Arbeiten zu vermeiden.

Ein gruseliger Hockeyspieler mit Maske.

Mistgabeln liegen auf einem Bett mit Blättern.

Abschließend kann ich nur sagen, dass ich seine Bilder und vor allem diese Serie großartig finde. Beängstigend und verstörend, aber auch eine Zeitreise in unsere Kindertage, in denen uns die eigene Fantasie manchmal schlaflose Nächte gebracht hat. Arthur Tress gehört sicherlich zu den wichtigen Fotografen der 60er und 70er Jahre in New York, auch heute noch stellt er aktuelle und frühere Serien in großen und kleinen Ausstellungen überall auf der Welt aus.

Seine Arbeiten hängen in Museen und Galerien, sind in Bildbänden und Monografien zu sehen, er hat allerhand Preise gewonnen und trotz aller Berühmtheit hat er sich die Zeit genommen, mir einige Fragen zu beantworten. Gerade in den letzten Jahren sind seine frühen Werke wiederentdeckt, medial weit gestreut worden und heute relevanter denn je, wobei er vermutet, den traurigen Grund dafür zu kennen:

Vielleicht hat es genau deshalb eine so große Internetreaktion auf diese starken Bilder gegeben, weil in den vergangenen Jahren mit dem Wiederaufleben der schrecklichen Bombenanschläge von Gaza, Irak und Afrika die Welt augenscheinlich wieder ein sehr beängstigender und gefährlicher Ort geworden ist.

Der „Dream Collector“ scheint genau dieses Unwohlsein und diese Ängsten mit uns als verletztlichem Opfer aufzugreifen. Unsere Ängste in einem konkreten Bild verarbeitet zu sehen, ist also etwas Beruhigendes, wie wenn einen damals die Eltern nach einem verstörenden Albtraum getröstet haben.

Mit herzlichem Dank an Arthur Tress für seine Antworten und die Bereitstellung von Fotografien und Interview-Material.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


Identität oder Die Macht der Wörter

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Lauren Renner ist eine New Yorker Fotografin, die sich seit 4 Jahren mit ihrem Projekt „In Others’ Words“ mit dem Zusammenhang zwischen Identität, menschlicher Interaktion und Stereotypen in der westlichen Gesellschaft auseinandersetzt.

Oftmals ist die Selbst- eine ganz andere als die Fremdwahrnehmung. Je mehr wir von der Gesellschaft um uns herum mit Etiketten versehen werden, desto weniger wissen wir, wer wir eigentlich sind. Die Grenzen verschwimmen mit jedem Wort, das uns an den Kopf geschmissen wurde und unsere eigene Identität verblasst dahinter.

Identität ist als ein Gefühl der Identität, d. h. der Kontinuität und Einheit mit sich selbst zu verstehen. Dieses Gefühl der Identität wird durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur geklärt und es ist als ein Prozess zu verstehen, der lebenslang dauert.1

Identität muss sich Schritt für Schritt erarbeitet werden und diese komplexe Entwicklung ist bei jedem Menschen durchzogen von Krisen, die vor allem durch unsere Wahrnehmung in der Gesellschaft ausgelöst werden. Lauren Renner hat es sich zum Thema gemacht, dieses Phänomen mit ihrer Serie „In Others’ Words“ zu visualisieren und den Teilnehmern damit zu helfen, sich von den Beschreibungen anderer zu lösen.

„Der Stempel, den wir von der Gesellschaft aufgedrückt bekommen, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem, wie wir uns selbst sehen“, erklärt sie und fotografiert darum nackte Menschen, die mit nichts bekleidet sind als mit den Beschriftungen, die sie im Laufe ihres Lebens unfreiwillig durch andere erfahren haben. Diesen Mantel der Fremdwahrnehmung wollen sie dadurch ablegen.

Zwei nackte und beschriftete Personen stehen auf einem Balkon.

Zwei nackte und beschriftete Frauen.

Lauren hat Freiwillige gesucht, die Lust hatten, sich auf dieses Experiment einzulassen. Unabhängig von individueller enthnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter oder kulturellem Hintergrund wollte sie Menschen zusammenbringen, die sich vorher nie begegnet waren und die doch durch dieses Foto-Projekt vereint werden sollten.

Trotz dieser offenen Kriterien sind es fast ausschließlich junge Menschen, die sich zusammengefunden haben. Es scheint, als seien es gerade junge Erwachsene, die sich an der Schnittstelle von Kindheit und Adoleszenz ihrer eigenen Identität besonders unsicher sind. Sie lassen sich vermehrt von ihrem Umfeld irritieren und dennoch ist die Meinung anderer von höchster Wichtigkeit für das Selbstkonzept. Dies kann die berühmte Schere zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung öffnen.

Eine nackte und beschriftete Frau steht auf einer Brücke.

Vor jedem Shootingtermin sollten die Teilnehmer eine handschriftliche Liste anfertigen, auf der sie all diese Labels notierten, die ihnen an irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens begegnet sind. Ein vielleicht gut gemeintes Kompliment kann genauso Stereotype erzeugen wie eine Beleidigung und auch Bezeichnungen wie Freak oder Langweiler geben dem Menschen einen Stempel, den er gar nicht haben möchte.

Ob diese Zuschreibungen positiv, negativ oder selbstbezeichnend sind, war für die Liste der Teilnehmer also egal, das einzige Kriterium war, dass es aus dem eigenen Erfahrungsschatz stammte. Die fertige Liste wurde dann zur Vorlage für die Körperbeschriftungen am Shootingtag.

Liste mit Zuschreibungen

Liste mit Zuschreibungen

Am frühen Morgen trafen sich die Teilnehmer mit Lauren Renner, um sich kennenzulernen, auszutauschen und gemeinsam die nackten Körper zu beschriften. Diesen Prozess hat die Fotografin ebenfalls dokumentiert und die entstandenene Making-Of-Bilder stehen gleichberechtigt neben den eigentlichen Fotos, die im Laufe des Tages geschossen wurden, auf ihrer Webseite. Die Freude an dem Projekt und dem Miteinanderteilen ist den Menschen oftmals ins Gesicht geschrieben und die besondere Stimmung und Energie ist spürbar.

Eine Frau lacht herzlich.

Eine Frau bemalt den Bauch einer anderen Frau.

Ein Mann beschriftet einen anderen Mann.

Die „In Others’ Words“-Fotos enstanden dann an einem öffentlichen Ort. Lauren Renner benutzt meistens eine 4×5-Großformatkamera, Nikon D80, Minolta X700, Canon A-1 oder Polaroid 360 Land Camera für ihre Bilder. Sie arbeitet seit inzwischen vier Jahren an dem Projekt und ist immer weiter auf der Suche nach Freiwilligen.

Die Teilnehmer beschrieben das Experiment als positiv, einprägsam und auch als lebensverändernd, weil es ihnen dadurch möglich wurde, sich selbst aus der Enge der Wörter zu befreien und in ihre eigene Haut mit ihren eigenen Sichtweise zu schlüpfen.

Zwei nackte und beschriftete Männer stehen auf einer Straße.

Vier nackte Menschen stehen auf einer Wiese.

Zwei nackte und beschriftete Männer stehen am Strand.

Lauren Renner möchte Stereotype nicht beseitigen, sondern die Menschen mehr dafür sensibilisieren, diese Zuschreibungen zu differenzieren und zu filtern, sich nicht mehr einem Stereotyp unterordnen zu lassen. Die Macht der Wörter sollte uns allen bewusst sein, wenn wir mit und über Menschen reden. Dieses großartige Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen und sie plant zur Zeit eine große Tour durch Europa.

Wenn Du also Lust hast, am Projekt teilzunehmen, bietet Lauren Dir einen Platz bei „In Others’ Words“ im Austausch gegen Kost und Logis. Jede_r ist willkommen, schreib einfach eine E-Mail mit dem Betreff „IOW Travel Exchange“ an lauren@laurenrenner.com.

1 Erikson, 1968

Bedingungslose Liebe

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Ein Beitrag von: Kate T. Parker

Die Serie „Blended“ (zu Deutsch etwa mit „gemischt“ zu übersetzen) begleitet die Reise meines Neffen Sam von dem Tag an, als er geboren und in den Kreis meiner Schwester, meines Schwagers und des Restes unserer Familie adoptiert wurde.

Ich fotografiere seit dreieinhalb Jahren professionell und für mich war es sehr wichtig, echte Momente aufzunehmen statt gestellter Familienportraits. Darum sind alle Bilder auch zuhause und nicht in irgendwelchen Studios entstanden. Ich dokumentierte all diese spannenden und aufregenden Momente, die Kraft der Liebe, aber auch die quälende Warterei bis zur Adoption. Wir haben im Januar erfahren, dass wir für Sam ausgewählt wurden, im Februar kam er dann zu uns. Ich wusste sofort, dass heute der entscheidende Tag ist, als meine Schwester mich um 7 Uhr morgens anrief.

Wir leben alle sehr nah beieinander, was großartig ist, weil wir Sam so einen sehr festen Familienbund bieten können. Die Freude über seine Ankunft, dieses kleine neue Leben in unserer nun buntgemischten Familie begrüßen zu dürfen – ich wundere mich auch heute noch, wie wunderbar alles gelaufen ist. Auch für meine eigenen Töchter, die sechs und neun Jahre alt sind, ist es sehr prägend zu erfahren, dass es so viele verschiedene Wege gibt, eine Familie zu gründen. Sie sind total verrückt nach Sam und für sie ist er mehr ihr kleiner Bruder als ihr Cousin. Wir definieren Familie einfach darüber, wen wir lieben.

Und diesen süßen kleinen Mann, der inzwischen schon acht Monate alt ist und so viel Freude in unser Leben gebracht hat, lieben wir einfach nur abgöttisch. Sam – das ist für uns bedingungslose Liebe.

ein Säugling im Babybettchen.

Eine Frau lacht herzlich und hält ein Baby auf dem Arm.

Eine junge Familie mit Nachwuchs.

Eine Mutter hält ihr kleines Kind auf dem Schoß.

Eine Schwarzweißaufnahme eines Babys.

Zwei Mädchen umringen ein schreiendes Baby.

Ein Baby liegt auf einem Teppich.

Ein Baby wuschelt durch die Haare einer Frau.

Profilaufnahme Mutter und Sohn.

Ein Baby auf dem Arm seiner Großvaters.

Eine Mutter sitzt im Fenster und schaut ihr Kind an.

Eine schwarzweißes Familienfoto.

Ein schreinendes Baby auf dem Arm einer Frau.

Zwei Mädchen spielen mit einem Baby auf einem Bett.

Drei Kinder mit amerikanischen Flaggen in der Hand.

Wasserwesen

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Ophelia mit Sommersprossen im Wasser

Immer öfter stolpere ich auf Fotoportalen über Frauen im Wasser. Vielleicht kommt es auch nur mir so vor, aber die nasse Schöne wird ein immer beliebteres Motiv. Und obwohl ich mich selbst in der inszenierten Fotografie nicht beheimatet fühle, bewundere ich doch die Spannbreite der Interpretationen. Und ich finde die Thematik aus einem ganz besonderen Grund spannend: Ihrer Rezeptionsgeschichte.

Ich habe mich also aufgemacht, ein bisschen über den Ursprung der Frau im Wasser zu recherchieren und die verschiedenen Erscheinungsformen zu differenzieren. Habe meine alten Unterlagen aus dem Germanistikstudium herausgekramt, denn irgendwann zu Examenszeiten habe ich mal eine wichtige Arbeit über die „Femme fatale“ geschrieben. Aber ich fange lieber vorn an.

Der Ursprung der Wasserwesen liegt bei den Sirenen, die ursprünglich Landwesen waren, in Homers Odyssee aus dem 8. Jahrhundert v.Chr, also ganze 2700 Jahre zurück! Im zwölften Gesang des Epos erfährt der Held Odysseus von der Zauberin Kirke, dass sein Schiff auf dem Heimweg an den Sirenen vorbeifahren wird:

Zu den Sirenen wirst du zuerst gelangen, die all die
Menschen berückend bezaubern, wer irgend hinkommt zu ihnen;
Wer auch immer sich naht, unwissend, und hört der Sirenen
Singenden Laut, dem treten nicht Frau und unermüdliche Kinder,
Wenn er nach Hause kehrt, zur Seite und freuen sich seiner,
Sondern mit hellem Gesang bezaubern ihn die Sirenen,
Sitzend auf einer Wiese; ringsum ein Haufen von Knochen
Von vermodernden Männern, und um sie schrumpfen die Häute.

Antike Vase mit Sirenen-Szene aus der Odyssee

Gewarnt vor dem Gesang der Sirenen verschließen sich die Männer die Ohren mit Wachs und Odysseus lässt sich mutig an den Mast seines Schiffes binden. So entgehen die Heimkehrer der Verführung der Sirenen, die, im Unterschied zu den meisten modernen Darstellungen, tödliche und brutale Wesen waren.

Sucht man in Fotoportalen nach Sirenen-Adaptionen, findet man mit großer Wahrscheinlichkeit sanft im Wasser liegende Mädchen. Überhaupt wird meines Erachtens nach der Fokus auf die zarte Optik der Wasserfrauen gelegt, ich habe nur wenige Beispiele finden können, in denen bewusst eine Anspielung auf den liebreizenden, aber tödlichen Gesang gemacht wird. Dabei ist der eigentliche Kern der Mythe die Stimme, mit der die Sirenen seit jeher die Männerwelt verführen:

Zudem sind die ursprünglichen Sirenen nicht einmal weiblich, sie sind geschlechtlos, manchmal sogar männlich und mit Bart dargestellt. Es sind dämonische Mischwesen, Vögel mit Menschenköpfen und erst in posthomerischen Zeiten haben sie ein estaunliche Transformationsgeschichte durchlebt:

Im 6. Jh. nimmt der Oberkörper Frauengestalt an /…/ und seit klassischer Zeit bis zum Ende des Altertums erscheinen die Sirenen meiste als nackte schöne Frauen, von deren Vogelnatur oft nur wenig mehr als die Flügel und Krallenfüße geblieben sind.1

Diese Darstellung ist in der Fotografie unheimlich selten und ich habe wirklich lange suchen müssen, um eine entsprechende Sirenen-Interpretation zu finden.

Der morbide Charakter der Vogelfrauen ist in den Jahren abgestumpft und auch eine weitere optische Veränderungen mussten sie einbüßen: Im Übergang von der antiken zur christlichen Rezeption hat sich der Mythos Sirene in eine fischschwänzige Nixe verwandelt.

Beide Formen – Vogelfrau und Fischfrau – bleiben zu Zeiten des Mittelalters nebeneinander stehen, doch die Fischfrauen gewinnen schon rein ästhetisch schnell die Oberhand. Dies liegt zum einen daran, dass eine Frau mit Fischschwanz ein erotischeres Bild abgibt als eine vogelkrallige Dämonin, zum anderen harmoniert die Fischsirene schlüssiger mit frühchristlichen Meeresmetaphern und antiken Nymphensagen.2

Ich habe mich hierzu mit zwei Fotografinnen unterhalten, die beide den Sirenen-Stoff fotografisch umgesetzt haben. Dass sie es beide auf so unterschiedliche Weise interpretiert haben, ist nicht nur ihren Fotos abzulesen, sondern auch ein großartiges Beispiel dafür, wie viel Spielraum ein so altes und klassisches Motiv wie die Sirenensage, die Mutter aller Wasserfrauen, bietet.

Ninons Sirene:

Der Startpunkt war für mich ein Zitat von Blaise Pascal: „Ein Nichts vor dem Unendlichen, ein All gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und All.“ Dazu hatte ich mir vorgenommen, ein Foto zu machen. Es sollte ein Unterwasserbild werden und zwar eines, bei dem der ganze Körper zu sehen ist.

Jemand, der vollständig im Wasser versinkt, um niemals wieder aufzutauchen. Wichtig war mir, dass dieses „Jetzt ist es vorbei“-Gefühl eingefangen wird. Hoffnungslos, aber dennoch sicher. Keine Angst, keine Furcht, mehr als würde man einfach einschlafen und leise verschwinden. Ich habe versucht, es genauso umzusetzen, indem ich mich selbst als Modell benutzt habe.

Wir sind zu einem Teich gelaufen, meine Mutter musste den Auslöser drücken, während meine Schwester versucht hat, mich in die richtige Position zu bringen. Die ersten Versuche waren schrecklich, ich habe literweise Wasser verschluckt, aber nachdem ich beiden erklärt habe, wie es genau in meiner Vorstellung aussieht, konnten sie mir auch besser helfen.

Trotzdem war es nicht leicht, alles gleichtzeitig zu beachten: Gesicht über Wasser, den Schal an der richtigen Stelle, die Hände, die Beine … Am Ende habe ich mich für zwei Bilder entschieden. Eines, auf dem der Oberkörper mit der Wasseroberfläche im Gleichgewicht war und eines von meinem Unterkörper, bei dem man meinen Rock auch als Fischflosse deuten könnte. Daraus habe ich in Photoshop das fertige Bild gebaut.

Ich liebe das Ergebnis, allerdings erkannte ich beim Bearbeiten, dass ich mein Ziel, das Zitat umzusetzen, nicht erreicht habe. Stattdessen hat sich eine zweite Inspiration eingeschlichen: Ich war zu der Zeit geradezu besessen von einem Lied namens Sirens Call mit der Textzeile „Die Sirenen rufen mich“ und mir wurde bewusst, dass ich genau diesen Moment geschaffen hatte!

Ich weiß nicht, ob es eine gelungene Interpretation des Motivs ist, weil eigentlich keine Sirene enthalten ist, sie ist quasi implizit. Aber das Bild zeigt die Auswirkung des Sirenenrufs, wie jemand dem Elend nicht entkommen konnte und das liebe ich wirklich an dem Foto.

Frau liegt wie Meerjungfrau im Wasser

Foto: Ninon

Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, mit dem Stoff in Kontakt zu treten, ob zufällig durch andere Fotografen, im Museum, in der Literatur, im Theater oder wie bei Ninon über Umwege und in der Musik – Inspiration kann man sich überall holen, man muss nur wissen, was man damit anstellen kann. Auch finde ich es spannend, was für Unterschiede es in der optischen Repräsentation der Sirenen gibt, ob klassisch und zeitlos oder modern interpretiert wie von Julia Zhuravskaya:

Ihr müsst wissen, ich studiere in St. Peterburg an der Akademie für Kunst und Theater und wir beschäftigen uns viel mit antiker Literatur. Das Eremitage ist ein großartiges Kunstmuseeum und ich kann mir dort immer und immer wieder die antiken Skulpturen anschauen. Unfassbar schön!

Ich fühle mich seit meiner Kindheit zur griechischen Mythologie hingezogen und die russische Version von Homers Odysee habe ich schon öfter gelesen. Vor allem Odysseus Abenteuer mit den Sirenen haben mich fasziniert, sodass ich mich schon mehrmals mit diesem Thema in meinen Bildern beschäftigt habe.

In diesem speziellen Bild wollte ich mich aber nicht zu tief in die antike Sagenwelt einlassen, mir war es wichtig, dass auch Platz für Ideen aus dem Hier und Jetzt bleiben. Darum habe ich mich entschieden, meine beiden modernen Sirenen in einer typischen Haus-Atmosphäre zu fotografieren. Es hat zwar einen Bezug zur Odysee, das Foto stellt aber eher eine Szene nach dem Ende der Sage dar, nämlich den „Tod der Sirenen“.

Dafür habe ich das Foto sehr ruhig gestaltet, ohne das Singen der Sirenen oder ähnliches, nur einfaches goldenes Make-Up und eine sterbende Frau. Zuerst wollte ich nur mit meiner Freundin Elena arbeiten, aber irgendwie schien mir das zu wenig zu sein.

Dann entsand die Idee, eine zweite Sirene außerhalb des Fensters zu platzieren, sodass jede in einem Rahmen für sich liegt und das Foto in zwei Bereiche geteilt wird. Wir mussten uns beeilen, ein zweites Modell aufzutreiben, denn es war Abend und ich hatte Angst, dass uns das Licht ausgehen würde. Aber glücklicherweise ging alles sehr schnell und nach 15 Minuten kam eine weitere Freundin vorbei und ich konnte endlich meine Szene aufbauen.

Ich schaute durch den Sucher, so lange, bis der Ausschnitt interessant wurde. Genau dann drückte ich den Auslöser. Auch nachträglich habe ich beinahe nichts an dem Bild bearbeitet, nur ein wenig die Farben und Kontraste korrigiert und das Bild war fertig!

Es kommt im Laufe vieler Jahrhunderte zu immer mehr Berührungspunkten zwischen Sirenensage und diversen anderen Mythen und Märchen und kein Jahrhundert ist so wasserfrauensüchtig wie das 19. – viele romantische Neuerungen entstehen aus der Vermischungen der Fischfrau mit ihren folkloristischen Schwestern, den Nixen und Melusinen, den Najaden und der Loreley.

Die archetypische Vorstellung von der elementaren Weiblichkeit des Wassers ist Grundlage für die motivgeschichtliche Gemeinsamkeit. Doch der Fokus auf Bedrohung und Erotik weicht einem neuen thematischen Mittelpunkt der Sagen: Der Erlösung. Neben der Melusinensage ist es vor allem die verhängnisvolle Geschichte der Undine, die sich vom dämonischen Verderben abwendet und nach romantischer Vereinigung strebt.

Es gibt zwei besonders schöne Interpretationen des Undinen-Stoffes, der ursprünglich aus dem 12. Jahrhundert stammte, wobei die eine sicherlich einem breiteren Publikum bekannt sein dürfte: „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen. Anders als in der Disney-Version mit Happy End löst sich die kleine Meerjungfrau im Märchen in Schaum auf, da die Vereinigung von Mensch und Wasserwesen scheitert.

Die zweite, etwas unbekanntere Adaption, ist das von Friedrich de la Motte Fouqué 1811 veröffentlichte Kunstmärchen „Undine“. Die Undine ist ein im Wasser lebendes weibliches „Elementarwesen, das dem naturfernen Menschen eine Erweiterung seines eingeengten Seins vermitteln könnte.“3

Allerdings kann sie erst durch die Vermählung mit einem irdischen Mann eine unsterbliche Seele erlangen und somit steht bei ihr – anders als bei den Sirenen – der Aspekt des Wunsches nach Erlösung im Vordergrund. Dennoch küsst Undine ihren treulosen Gatten, nachdem die Bezeihung gescheitert ist, zu Tode und reiht sich damit passend in die Liste der tödlichen Wasserfrauen ein.

Claudia Ottos Undine:

Die Undinen-Geschichte interessiert mich wegen ihres märchenhaften, fantastischen Charakters, wird doch die Wassernymphe erst Unsterblichkeit erringen, wenn sie sich mit einem irdischen Mann vermählt. Auch in der slawischen Mythologie gibt es diese Wassergeister, „Russalken“. Hier sind sie, der Sage nach, ertrunkene bzw. vom Wassergeist in sein Reich entführte Jungfrauen.

Vor einigen Jahren hatten wir „Russalka“ von Dvorak auf unserem Theaterspielplan – und die Geschichte ging mir nicht mehr aus dem Kopf! Es geht um Liebe, um Unsterblichkeit, um Lebensebenen, es geht um Verführung und irdisches Vergehen, es geht um den Sog zum Element Wasser und gleichzeitig die Furcht vor den geheimnisvollen, ungebändigten Kräften.

Es gibt ein zweites Kunstwerk, das expressionistische Gedicht „Schöne Jugend“ von Gottfried Benn (1912), das mich fasziniert hat und zu dieser Bildidee trieb:

„Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach
war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich, in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschen!“

Die Idee der Umsetzung meiner Bildidee kam mir im Sommer, als ich sinnend durch nordische Landschaft fuhr, die Horizonte weit, alles lag klar vor mir – ich wusste auf einmal, was ich für Requisiten brauchte und wie das Bild detailliert aussehen sollte. Ich besorgte extrem glatte, transparente Folie und Blinkerfische, denen ich die Haken abknipsen musste.

Nun galt es, genau dieses Bild mit einem meiner Lieblingsmodelle, Oerni umzusetzen. Die Folie wurde beim Shooting 10 cm über der Wasseroberfläche der gefüllten Badewanne verklebt und mein Modell musste unter Wasser und Folie kriechen. Eine schwierige Aufgabe und nichts für Menschen mit Platzangst!

Ich stellte mich mit beiden Füßen rechts und links auf den Badewannenrand, fixierte, wegen mangelnden Lichtes, meine Ellenbogen am Körper und fotografierte von oben das im Wasser liegende Modell. Die Aufnahme habe ich mit meiner Canon 5D Mark II gemacht (24 mm, f/2.8, 1/15 s, ISO 800).

Oerni ist erfahren und mutig, somit brauchten wir nicht viele Versuche, um das Bild im Kasten zu haben. In der Nachbearbeitung habe ich dann das Bild ins Quadrat geschnitten, mit Photoshop die Schwarzweiß-Umwandlung gemacht, außerdem eine Spreizung der Gradiationskurve und etwas Kontrasterhöhung. Wichtig war mir ein Schwebezustand zwischen laszivem und morbidem Ausdruck und ich denke, das kommt irgendwie rüber.

Interessanterweise rückt zunehmend die Liebe in den Mittelpunkt. Waren es bei den Sirenen noch dämoische Erotik und Verhängnis, kommt es im Laufe der Zeit im literarischen Diskurs vermehrt zu Liebe und Begehren der Wasserfrauen, Liebesverrat und melancholischen Liebschaften.

Das bekannteste Beispiel für verschmähte Liebe und den unfreiwilligen Liebestod ist in diesem Zusammenhang die Geschichte der Ophelia. In ihr wechselt sich zu guter Letzt auch die Opferseite. Waren es zuvor stets die Männer, die den Wasserfrauen erliegen mussten, ist Ophelia diejenige, die mit dem Leben zu zahlen hat und wählt in Shakespeares „Hamlet“ einen tragischen Freitod im Wasser.

Ophelia ist vielleicht gerade durch ihre Traurigkeit und den stillen, sanften Tod im Blumensee ein beliebtes Motiv. Gerade in den Malerei wurde ihre Sterbeszene oft adaptiert und auch wenn ich mich in Fotoforen umsehe, finden sich zahllose Beispiele für die Interpretation der Geschichte Ophelias.

Chantal Korthouts Ophelia:

Vor einiger Zeit habe ich angefangen, durch Glasscheiben zu fotografieren, auf die ich transparente Folien geklebt hatte. Das führt dazu, dass das Motiv, das nahe an der Scheibe ist, im Fokus liegt und alle weiter wegstehenden Objekte oder Hintergründe verschwommen und weich werden.

Da ich die Folie etwas unpräzise auf die Scheibe geklebt hatte, entstanden Blasen unter dem Plastik. So entstand der Eindruck einer Unterwasserwelt und erst dadurch bin ich darauf gekommen, das Opheliamotiv umzusetzen.

Ich kenn das Gemälde von John Everett Millais, auf dem Ophelia im Wasser treibt, mit ihrem wunderschönen Kleid und Blumen in der Hand. Ich habe auch Hamlet gelesen und erkannt, das Ophelia ein sehr passives Mädchen war, das meistens gemacht hat, was ihr befohlen wurde.

Sie ist wahnsinnig geworden, als ihr Vater von ihrem Liebhaber ermordet wurde und als sie dann aus Versehen in den Strom gefallen ist, hat sie sich einfach nicht gewehrt und ist ertrunken. In meinen Bildern wollte ich genau dieses Gefühl vermitteln, diese Melancholie, den Schmerz und auch dieses Aufgeben und die Hingabe an das Wasser.

Es ging mir darum, manchmal nur ein Gesicht zu zeigen, manchmal nur eine Hand, aus der eine Blume hinweggespült wird. Ich habe für das Shooting hausptsächlich Blumen, Äste und Blätter benutzt, die ich in meinem Garten oder im Park gefunden habe. Es durfte für mich ruhig einfach gehalten sein, quasi als Gegenentwurf zu Millais oder der Malerei von John William Waterhouse.

Am Ende sind es Selbstportraits geworden und so konnte ich während der Aufnahme über die Emotionen und Ausdrücke nachdenken, die ich transportieren wollte und auch über Komposition und Licht. Am Ende habe ich lediglich noch die Bilder in Schwarzweiß- oder Sepiatöne konvertiert. Die Serie ist für mich immer noch ein fortlaufendes Projekt.

Es ist erstaunlich, wie sich im Laufe der letzten 2700 Jahre das Bild der Sirene gewandelt hat, wie es mit Sagen rund um Meerjungfrauen und Nixen verschmolzen ist und die tödliche Vogelfrau zu einem erotischen, aber schwachen Wassermädchen geworden ist. Der Wandel vom negativ-zerstörerischen zum positiv-romantischen Bild der Wasserfrauen ist ein großartiges Beispiel für den Perspektivwechsel, den ein klassisches Motiv im Laufe seiner Jahre durchleben kann.

Ich hoffe, ich konnte Euch durch diese kleine Zeitreise die Verwandlung des literarischen Motivs, ihre vielen unterschiedlichen Verwandschaftsgrade, Ähnlichkeiten und Unterschiede näher bringen und meine Faszination darüber ein bisschen teilen.

Vor allem in der Motivwahl vieler Fotografen werden die Begrifflichkeiten etwas unsauber voneinander getrennt, was im Grunde auch völlig in Ordnung ist, da es ja meistens nicht um Illustrierungen der antiken Sage geht, sondern um eine eigene Interpretation der Verbindung von Mensch und Wasser. Darum tauchen Sirenen-Mädchen, im See treibende Ophelias und im feuchten Nass planschende Meerjungfrauen auch bunt gemischt und nebeneinander in diversen Communities auf.

1 M. Moog-Grünewald: Mythenrezeption, 2008, S.655
2 M. Moog-Grünewald: Mythenrezeption, 2008, vgl. S. 658
3 A. und W. Rinsum: Lexikon Literarischer Gestalten II, 1990, S.603

Das Titelbild stammt von Imustbedead.

Die Redaktion stellt sich vor: Anne Henning

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Mädchen steht vor Lichtkegel in Fensterform.

Achtung, eine knappe Zusammenfassung: Anne. Denkt viel, liest oft, schreibt gern. Verkopft. Arbeitet dennoch bevorzugt mit den Händen. Bildhauerin. Fotografin. Über diese Beziehung wird im Folgenden nachgedacht.

Fotografie ist ein Fenster. Durch dieses Fenster blicken wir allein oder gemeinsam auf eine Wirklichkeit da draußen, ganz als sei der Träger unseres Bildes transparent und zeige die Welt dahinter. Für mich ist dieses Fenster aber nicht transparent. Es ist sichtbar. Es ist Oberfläche, es ist Material, es ist Haptik.

Diese Oberfläche interessiert mich genauso wie die Welt dahinter. Ich finde es großartig, Bilder anzuschauen, aber genauso wichtig ist es für mich, sie zu berühren. Dahinter steht ein längerer Entwicklungsprozess, denn vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, mit Verstand zu fotografieren, war mir das Medium noch nicht so wichtig.

Anknüpfend an die alte Kinderkamera, die ich zu Grundschulzeiten hatte und mit der ich alles um mich herum festhalten konnte, habe ich mir mit 16 eine analoge Canon zugelegt und wieder angefangen zu fotografieren. Schnell bin ich vom Kleinbild ins Mittelformat gewechselt, das Rechteck forderte von mir immer zu viele Entscheidungen, die ich im Quadrat nicht mehr treffen musste.

Islandpferde auf grüner Wiese mit Belichtungsfehler.

Ich habe angefangen, Kunst auf Lehramt zu studieren und bin dadurch zum ersten Mal mit der Dunkelkammer in Berührung gekommen. In Berührung! Denn erst durch das eigene Entwickeln, das Fühlen von Fotopapier und den Geruch von Chemie habe ich angefangen, mich bewusster mit der Thematik der Materialität auseinanderzusetzen.

Was ist dieses Foto, dieses Fenster? Was kann es überhaupt darstellen und ist nicht alles Dargestellte nur ein Scheinbild der Wirklichkeit, nur Spuren auf lichtempfindlichem Material? Was ist das für eine Oberfläche? Und was ist Inhalt, was ist Träger?

Schwarzweißtportrait eines Mädchens mit gescannter bunter Blume im Haar.

Ich habe mich in den nächsten Jahren phasenweise von der Fotografie distanzieren müssen, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Ich studiere inzwischen in einer Bildhauerklasse an der Kunstakademie Düsseldorf und habe meine Antworten in der Bildhauerei gefunden. Hier gibt es keine Fenster oder Scheinbilder. Was ich aus Holz, Gips oder Metall baue, kann ich berühren, riechen, von allen Seiten betrachten.

Skulpturen kommen mir manchmal sehr viel ehrlicher als Fotografien vor und dennoch habe ich immer wieder das Gefühl, das beides wichtig ist und eigentlich gar nicht so unterschiedlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Ich musste nur genügend Gemeinsamkeiten finden, um mich auf beides einlassen zu können.

Ein Diptychon aus einem nach oben ragenden Baum und einer Holz-Filz-Arbeit.

Ein Gefühl oder eine Frage, die man sowohl durch ein Foto als auch durch eine Plastik beantworten kann.
Chemiefehler in der Dunkelkammer oder reißendes Holz, weil man es nicht lange genug getrocknet hatte – es sind beides Zufälle, die im jeweiligen Medium passieren, die wichtig sein können und manchmal sogar ähnliche Spuren hinterlassen.

Oder das Abfotografieren meiner dreidimensionalen Arbeiten, die auf Film ganz anders wirken als im Atelier, losgelöst von Zeit und Raum und manchmal ephemere Zwischenschritte festhalten, die es sonst gar nicht mehr gäbe.

Steine an dünnen Fäden aufgehangen.

Erst durch diese Schnittstellen habe ich den Wert des parallelen Arbeitens in beiden Medien schätzen gelernt und die Haptik als verbindendes Element für mich erkannt. Denn nicht nur in der Bildhauerei arbeite ich mit meinen Händen, auch in der Fotografie ist das möglich, es kommt nur darauf an, wie man ein Foto interpretiert. Ist das Fenster transparent oder sichtbar?

Für mich ist das ganz klar: Ein Negativ ist nicht nur eine Wiedergabe des aufgenommenen Moments in Komplementärfarben, es ist eine kleine Leinwand. Ich liebe es, nachträglich im Negativ zu arbeiten, durch Tesafilm, Flusen, Risse oder Löcher im Negativ entfaltet sich eine Art Vordergrund im Foto, es scheint, als schwebe das Element über dem Motiv, als habe das Bild eine neue Dimension erhalten und gewinne so an skulpturaler Qualität.

Und auch im Positiv reizt es mich, weiter zu denken. Analoge Bearbeitung durch Feuer, Stifte oder Hinzufügen von zusätzlichen Elementen verändert das Foto ganz ohne Photoshop.

Verkehrt herum stehendes Bild eines Mädchens auf einer Wiese, in die Risse gebrannt wurden.

Vielleicht liegt es an meiner täglichen Arbeit im Atelier, aber für mich gibt es so viele Schnittmengen zwischen Fotografie und Bildhauerei, dass es vor meinen Augen verschwimmt. Durch das Scannen meiner Negative verirren sich nachträglich bewusst oder zufällig Kleinigkeiten in meine Bilder, nehmen Raum ein, werden plastisch.

Das Weiterarbeiten am Foto, ob in der Dunkelkammer, am Negativ oder am Scanner, ist für mich wichtiger Teil des Prozesses, eben weil analoge Fotografie Material ist. Eben weil jedes Fenster auch eine Glasscheibe hat.

Hundebeine von hinten fotografiert und ein dunkles Loch in der Mitte.

Kürbispflanzen im Gras und viele Schnitte und Katzer im Bild.

Vor einiger Zeit fiel mir ein Zitat des italienischen Künstlers Lucio Fontana in die Hände. Eines, das seinen Balanceakt zwischen Malerei und Bildhauerei auf den Punkt definiert und mich nachhaltig beeindruckt hat:

Ich mache ein Loch in die Leinwand, um die überkommenen bildlichen Formeln hinter mir zu lassen, das Gemälde und die traditionelle Kunstauffassung und ich entfliehe im symbolischen, aber auch im materiellen Sinne dem Gefängnis der gatten Oberfläche.

Und im ganz Kleinen möchte auch ich meine Spuren unter der glatten Oberfläche des Fotos hinterlassen. Es ist mir wichtig, nicht nur festzuhalten, was ich sehe, sondern dies auch mit einer Handschrift, einem Fingerabdruck zu tun. Wie ich erzähle, ist genauso relevant wie das, was ich erzähle.

Mit inszenierter Fotografie kann ich wenig anfangen und auch sonst würde ich mich keinem klassischen Genre zuordnen. Ich denke, meine Arbeiten sind relativ verkopft, meistens stehen eine ganze Geschichte und einige durchdachte Nächte hinter einem Foto und selbst, wenn diese Geschichte manchmal auch nicht lesbar ist, habe ich sie doch erzählt und aus dem Kopf befreit.

Schöpfen kann ich dabei immer aus der Literatur. Lesen ist für mich die nahrhafteste Inspiration und dabei kann mich der Begleittext zu einem Bildband von Jannis Kounellis genauso versorgen wie die 70er-Jahre-Journale Peter Handkes*. Und in jedem Roman von Günter Grass finde ich ebenso gedankliche Anregung wie in Wolf Erlbruchs Kinderbüchern. Zwischen den Zeilen steht alles, man muss nur genau genug hinsehen.

Diptychon mit einem Schwarzweißakt und einer Person am Strand, mit ausgeschnittenem Loch in der Mitte.

In Kauf nehmen muss ich dafür, dass ich sehr langsam arbeite, dass ich mir viel Zeit lasse, eine Idee durchzudeklinieren, bevor ich den Film einlege und dann wird es doch ganz anders als geplant. Dass ich auch mal wochenlang nur Bilder denke, aber keine schieße.

Dass in so vielen Büchern Zettel kleben und auf so vielen Blättern Notizen stehen, dass ich sie unmöglich alle jemals umsetzen werde. Und dass ich die meisten meiner Fotos niemandem zeigen möchte, weil sie auch still und leise in einem Koffer liegend funktionieren.

Nur sehr selten entschließe ich mich, das eine oder andere Bild online zu zeigen, auszustellen oder gedruckt ins Atelier zu hängen. Vielleicht bin ich auch einfach zu kritisch. Aber ich arbeite daran.

Schwarzweißfoto eines Hand in die Wolle gecannt wurde.

Und wenn ich nicht daran arbeite, dann schreibe ich hier eben über Fotografie. Vorzugsweise über Phänomene, die mich aus dem heiteren Nichts gepackt haben und faszinieren. Gern über intermediale Positionen, da mich das auch in meinem Alltag beschäftigen. Oder über kunstwissenschaftlich angehauchte Themen, die ich hier zitieren und aufdröseln kann.

Ich hoffe, ich konnte und kann auch zukünftig kwerfeldein durch meinem Kopf bereichern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Meine fotografische Entwicklung habe ich für das wunderschöne „I think we are alone now #3 – Magazin für analoge Fotografie“ nochmal etwas ausführlicher dargestellt. Das liebevoll gemacht Zine, über dessen letze Ausgabe hier auch schon berichtet wurde, kann ich aber ebenso für die anderen vier Beiträge sehr empfehlen. Bestellbar ist es für 4 € bei Weltschmerz Distro.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.

Leanne Surfleets Spiegelwelt

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Eine Frau mit schwarzer Katze auf dem Schoss schließt ein Foto in einen Spiegel.

Spiegel sind faszinierende Objekte. Das eigene Spiegelbild konfrontiert uns mit uns selbst und es gehört zu jedem Menschen wie der eigene Schatten. Es ist ehrlich und direkt, verschönt und verbirgt nichts und zeigt doch nur eine spiegelverkehrte Wahrheit.

Im Märchen dient der Spiegel der Wahrheitsfindung, in der Literatur ist er oftmals ein Vanitassymbol, in der Malerei ist er Mittel, Dinge, die sich eigentlich außerhalb der Gemäldegrenzen befinden, im Bild zu zeigen und für Narziss wurde er einst zum Verhängnis. Eigentlich wurden dem Spiegel zu allen Zeiten besondere Kräfte zugeschrieben und vor allem in der Kunst* ist er die Jahrhunderte hindurch ein äußerst wichtiges und wandlungsfähiges Medium.

Fotografie und Spiegelbilder sind zwei Methoden, einen Moment festzuhalten und uns selbst zu betrachten. Doch das Wesen der Reflexion ist flüchtig und so ist auch das Spiegelbild ganz anders als ein Foto, denn es bewahrt und konserviert nichts.

Genau mit diesem Spiel um Trug und Täuschung, Wahrheit und Vergänglichkeit, Innen und Außen beschäftigt sich die britische Fotografin Leanne Surfleet. Sie fotografiert überwiegend analog und experimentiert seit neun Jahren mit ihren Kameras herum. Inspiriert von Weiblichkeit, Einsamkeit und Licht tastet sie sich Stück für Stück durch ihre Fotos.

Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, Spiegel in meine Bilder miteinzubeziehen, zuerst als ganz einfache Möglichkeit des Selbstportraits. Je mehr ich aber damit experimentiert habe, desto mehr habe ich realisiert, wie fesselnd und magisch Spiegel sein können.

Ich liebe das Spiel zwischen Realität und Surrealismus, den Fakt, dass all das, was wir im Spiegel sehen, nicht wahr ist, das Gegenteil ist, umgekehrt, falsch herum, damit spiele ich und benutze meinen Spiegel als Portal.

Ob Zweifachspiegelungen, Körperfragmente und Rückenansichten oder verwirrende Perspektiven, Leanne Surfleet schafft es, mit Hilfe ihrer Spiegel ein ganz besonderes Bild festzuhalten und durch die Fotografie den fragilen Augenblick des Spiegelbilds einzufangen. Ihre Bilder sind vielschichtig und poetisch, haben einen Hauch von „Alice hinter den Spiegeln“ und für mich ist es immer wieder intensiv und spannend, durch ihren Stream zu klicken und all die Spiegel, Hände, Beine und Katzen zu entdecken.

Frau steht über einem runden Spiegel.

Frau schaut von oben in einen runden Spiegel.

Füße stehen auf einem Bett und eine Hand ragt als Spiegelbild ins Bild.

Frau liegt am Boden vor einem Spiegel.

Frau hält einen Spiegel in den Händen und schaut hinein.

Frau steht mit Kamera vor einem Spiegel.

Frauenbeine sind durch einen Spiegel erkennbar.

Eine nackte Frau beugt sich seitlich um einen Spiegel herum.

Im Spiegel sieht man wie eine Hand einen Apfel greift.

Eine Frau windet sich vor einem Spiegel.

Eine Frau mit offenem Haar liegt vor einem halben Spiegel.

Nackte Frauenbeine stehen vor einem runden Spiegel.

Eine Katze und nackte Beine spiegeln sich.

Eine Frau mit Kamera wird durch zwei Spiegel in zwei Hälften geteilt.

Spiegelbild einer Frau mit Kamera.

Mehr Fotos sind auch auf Leanne Surfleets Webseite zu finden.

Die Dörfer der Yi

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Ein Kind mit einer Decke über dem Kopf steht in einem Feld.

Hart arbeitende Menschen auf ihren Feldern, traditionell gekleidete Kinder, eine karge Landschaft, Alltagsmomente in den Bergen Chinas – Methadone Guo dokumentiert Szenen des einfachen Lebens in den kleinen Dörfern des Yi-Volkes.

Der chinesische Fotograf, der Malerei studiert hat und eigentlich Video-Künstler ist, kommt oft im Winter in die Hochgebirge der südwestlichen Provinz Sichuan. 48 Stunden reist er dafür von Beijing aus mit dem Zug, um dann zu Fuß den Rest der Strecke zu den kleinen Dörfern zu wandern.

Die Yi kleiden sich einfach, aber doch individuell und alle singen und tanzen gern. In jeder Region haben sie unterschiedliche Kleidung und Bräuche. Die Männer tragen Filz, die Frauen Faltenrocke. Durchschnittlich leben sie in 2000 Metern Höhe, die Lebensbedingungen sind dementsprechend sehr hart. Dennoch sind die Yi ein lebensfrohes Volk, fleißig, herzlich und gastfreundlich.

Über 3000 Jahre ist die Kultur der Yi alt, sie haben eine eigene Sprache, Schrift und sogar eine eigene Zeitrechnung. Sie sind eine der vielen Minderheiten Chinas und obwohl sie knapp acht Millionen Menschen zählen, schenkt ihnen die Volksrepublik kaum Beachtung und ebenso wenig Förderung. Die meisten Dörfer sind nicht ans Stromnetz angeschlossen, Menschen und Tiere leben zusammen unter einem Dach und immer noch sterben hier Kinder aufgrund mangelnder Hygiene.

Chinesisches Kind schaut in den Himmel.

Eine chinesische Yi-Familie sitzt vor ihrer Hütte.

ein Bauer trägt ein riesiges Paket Reisig auf dem Rücken.

Zwei kleine Mädchen, eines schneidet eine Grimasse.

Ein chinesischer Bauer hütet Schweine.

Drei Generationen von Männern stehen zusammen.

Ein kleiner Junge lacht, hinter ihm steht ein Hund.

Eine einsame Person auf einem nebeligen Acker.

Zwei Fotos chinesischer Menschen.

Eine einfache Feuerstelle umringt von einer Familie.

Ein einsames Kind steht auf einem schlammigen Dorfplatz.

Menschen des Yi-Volkes sitzen zusammen.

Ein chinesischer Mann hüllt sich in einen Decke.

Ein Huhn im Vordergrund, im Hintergrund laufen zwei Menschen.

Mit seiner Mamiya RB67 hält Methadone Guo alle Eindrücke auf Schwarzweißfilmen fest, die er auf seinen Reisen einsammeln konnte. Die Einfachheit der Menschen, das Leben in den kargen Höhen, in denen meist nur Kartoffen und Hirse wachsen – Guo dokumentiert, ohne dabei werten zu wollen. Er betont, seine Bilder seien unpolitisch und haben keinen erhobenen Zeigefinger.

Ich fotografiere einfach nur all die Dinge, die ich sehe. Politik mag ich nicht.

Dennoch schwingen neben all der Tristesse auch Stolz und Zusammenhalt in seinen Bildern mit. Das Leben in mehreren Generationen und lachende Kindergesichter – es fühlt sich nach ehrlicher und authentischer Dokumentation an. Dennoch besteht dieser harte Kontrast zu unserer Überflussgesellschaft. Ich kann Guos Bilder nur immer und immer wieder ansehen und sie doch nicht ganz begreifen.

Von der Idee zum Bild mit Andrea Peipe

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Ein Mädchen durchbricht die Wasseroberfläche mit ihrem Fernrohr.

Ein Beitrag von: Andrea Peipe

Meine Liebe zur Unterwasserfotografie war unmittelbar und eher unerwartet. Normalerweise plane ich meine Shootings sehr genau, aber unter Wasser ist das nicht wirklich möglich. Viel Zeit bis zum Ende des Sommers blieb mir auch nicht und so entstand beim zweiten und bisher letzten Fotoshooting unter Wasser dieses surreale Konzept.

Wenn man kein Auto besitzt, gibt es in der Nähe von München eigentlich nur einen See, der gut erreichbar und klar genug ist, um darin Unterwasserbilder zu machen – den Starnberger See. Meine gute Freundin Lisa (und das Modell auf diesem Bild) hatte mich ein paar Tage zuvor nach meinem ersten Unterwasser-Shooting angeschrieben und gemeint, sie würde so gern auch einmal Fotos unter Wasser machen und wäre bereit, dafür extra von Würzburg nach München zu kommen.

Zu einem solchen Angebot konnte ich natürlich nicht Nein sagen und so kam sie an einem erstaunlich kühlen Nachmittag Anfang August mit dem Bus nach München und wir sind von da aus gleich mit der S-Bahn zum See gefahren.

Ich hatte schon in den Wochen davor einiges an Ideen aufgeschrieben und skizziert, aber schon beim ersten Unterwasser-Shooting gemerkt, dass sich nicht alles so einfach umsetzen lässt. Die Idee für mein Bild „The way to the stars“ kam mir wie so oft eines Morgens im Halbschlaf.

Wenn ich in der Früh aufwache und mein Freund neben mir noch friedlich schlummert, kommen mir oft die besten Ideen. Das Schwierige daran ist, sie nicht zu vergessen! Deswegen habe ich angefangen, meine Ideen auf meinem Tablet zu skizzieren, damit ich diese dann, wenn alles passt, umsetzen kann.

Skizze eines Menschen mit Fernglas im Wasser tauchend

Meine ursprüngliche Idee sah einen Freund von mir als Modell vor, aber da Lisa nun schon unterwegs war, ich wusste, dass ich die nächsten Wochen in Südafrika unterwegs sein würde und dies somit mein zweites und für 2014 wohl letztes Unterwasser-Shooting sein würde, beschloss ich, das Konzept mit ihr als Modell umzusetzen.

Ich hatte mein Fernrohr (keine Sorge, es ist ein Faschingsartikel aus Plastik) und einiges an Kleidern sowie meine Fotoausrüstung in meine Tasche gepackt und war bereit für die Umsetzung des Konzepts. Die Idee hinter dem Bild war für mich eine bildliche (durchaus surreale) Darstellung des Blicks in die ungewisse Zukunft.

Was sich von Anfang an als schwierig gestaltete, war der dunkle Himmel und das somit unter der Wasseroberfläche fehlende Licht. Beim Unterwasser-Shooting eine Woche davor hatten wir strahlenden Sonnenschein und somit viel mehr Licht unter Wasser gehabt. In diesem Fall hatte der Autofokus unter Wasser große Probleme, etwas zum Fokussieren zu finden, wodurch alles viel länger als geplant dauerte. Lisa und ich fingen schnell an zu frieren und ich versuchte, mein Konzept so schnell wie möglich umzusetzen.

Ein fröstelndes Mädchen steht nass im Wasser.

Ich wusste vom letzten Mal, dass mein Objektiv mit 50mm f/1.4 im Unterwasser-Gehäuse zu sehr hin und her rutscht und mein Objektiv mit 17 – 55 mm f/2.8 von der Größe her am besten passt. Selbst bei diesem muss man aber aufpassen, dass es sich nicht verschiebt, weil man sonst später auf den Fotos leider einen schwarzen Rand in den Ecken hat. Als Einstellungen wählte ich anfangs 1/1000 s bei f/4.5, ISO 160, änderte dies aber nach dem ersten Test auf 1/800 s bei f/4.5, ISO 125.

Mit diesen Einstellungen fing ich an, mein Konzept umzusetzen. Nach den ersten paar Fotos realisierte ich, dass die Idee nicht mit nur einem Bild umzusetzen war, da die Verzerrung unter Wasser dazu führte, dass es aussah, als ob ein winziger Kopf auf einem riesigen Körper sitzt. Also musste ich das Bild in drei Teilen fotografieren: Einmal unter Wasser, einmal über Wasser und einmal auf der Wasserlinie.

Unterwasseransicht eines Frauenkörpers

Eine Frau schaut mit einem Fernglas aus dem Wasser

Eine Frau schaut mit einem Fernglas aus dem Wasser

Unterhalten wurden wir bei unserem Fotoshooting übrigens durch die vielen Menschen, die an diesem Tag auf dem Steg am Starnberger See saßen und uns zusahen (und teilweise Fotos von uns beim Fotografieren machten). Besonders lustig waren hier fünf kleine Jungs in einem Schlauchboot, die immer genau wissen wollten, was wir da machen und vor allem warum das Ganze! Als uns im Wasser immer kälter wurde, spornten sie uns an, weiterzumachen, indem sie von ihrem Boot ins Wasser sprangen, um uns zu zeigen, dass das Wasser doch so warm wäre!

Was mich beim Fotografieren unter Wasser immer wieder überrascht, sind die Farben der Fotos, die man unter Wasser aufgenommen hat. Eigentlich gibt es nur Grün- und Brauntöne, obwohl man ja mit Wasser immer die Farbe Blau verbindet. Und natürlich sehr wenig Kontrast. Ich wusste also, dass ich nach dem Zusammensetzen der drei Bilder hauptsächlich an den Farben und dem Kontrast arbeiten musste. Das Zusammensetzen (und generelle Bearbeiten des Fotos) erfolgte in Photoshop CC.

Eine Frau schaut mit einem Fernglas aus blauem Wasser

Nach dem Zusammensetzen hatte das Bild schon viel Potential, aber ich wusste, dass ich am Ende ein dunkles und surreales, ja fast mystisches Foto haben wollte. Ich tendiere in meiner Fotografie generell eher zu dunkleren Bildern. Also änderte ich noch das Licht und spielte an den Gradationskurven, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war.

Eine Frau schaut mit einem Fernglas aus dem Wasser

Und ich bin es immer noch. Das ist das Foto vom letzten Jahr, bei dem ich nach wie vor sagen kann, es ist so geworden wie ich es wollte und ich würde es heute nicht anders machen.


Fotoskulpturen oder Der Stand der Dinge

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Ein Stück Rollrasen liegt auf einem Bett.

Zum ersten Mal so richtig begegnet sind mir zufällige Skulpturen letztes Jahr beim Streunen durch die Berge Islands. Zwischendurch haben wir immer wieder gestapelte Steinberge gefunden, die einen einsam in der Landschaft, manche zu Hunderten auf einem Pass. Einige waren stabil, unversehrt und voller Moos, andere fragile Bauten, die beim nächsten Sturm mit Sicherheit umgeweht worden sind. Sie werden also danach nur noch auf dem Foto existieren, das ich von ihnen gemacht habe.

Etwas Persönliches

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Eine nackte Frau steht mit dem Gesicht zur Wand.

Ein Beitrag von: Marteline Nystad

Das erste Selbstportrait habe ich 2012 im Rahmen einer Schulaufgabe gemacht und danach habe ich angefangen, immer mal wieder sporadisch solche Fotos für mich zu machen. Aber erst 2014 habe mich getraut, sie zu veröffentlichen.

Barry Falks Heterotopien

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Eine orangene Mülltüte weht durch eine grasige Landschaft.

Ein Beitrag von: Barry Falk

Als Fotograf beschäftige ich mich künstlerisch mit den versteckten und vernachlässigten Teilen von Innenstädten und Vorstädten. Meine Fotografie beleuchtet dabei Aspekte der städtischen Umwelt, die entweder bewusst nicht anerkannt werden oder denen generell wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Diese Ansichten aus dem Augenwinkel und die zufälligen Begegnungen kommunizieren den optischen Reiz und die Flüchtigkeit dieser vergessenen Orte besonders eindringlich.

Lieke Romeijns Blickwinkel

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Eine blonde Frau ist durch ein Autofenster sichtbar.

Die niederländische Fotografin Lieke Romeijn war einer der ersten Menschen, dessen Arbeiten ich auf eine besondere Art und Weise verstanden habe. Als ich 2010 zu Flickr gewechselt bin, war sie schon da. Ihre Fotos haben mich gefesselt, beruhigt, mich mit einem guten Gefühl gefüllt und ich habe seitdem immer verfolgt, was Lieke macht.

Das Maß der Zeit

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Ein Mann und ein Mädchen beten vor einem bunten Altar.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Wer fühlt nicht so? Sind wir klein, kann es nicht schnell genug gehen, jetzt, wo wir groß sind, kommt es uns vor, als kämen wir nicht hinterher. Manchmal geht man mit den Zeigern, manchmal macht man Zeitsprünge. Zeit ist sperrig, schnell und zäh zugleich, ungreifbar und relativ.
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